Gute Keime, böse Keime: Wie Darmbakterien Morbus Crohn verursachen

By | 27. Februar 2018

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa haben viel mit den Mikroorganismen zu tun, die zuhauf unseren Darm besiedeln. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben herausgefunden, wie die molekulare Interaktion zwischen diesem „Mikrobiom“ und dem körpereigenen Immunsystem funktioniert und es zum Krankheitsbild der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) kommt.

Ein halbes Pfund Mitbewohner

Der Blinddarm ist völlig unnötig? Wenn das so wäre, hätte Mutter Natur ihn schon längst wegrationalisiert. An der Verdauung ist er beim Menschen nicht mehr beteiligt, aber als Bestandteil des Darmtraktes ist er Teil unseres größten an der Immunabwehr beteiligten Organs.

So verwunderlich ist das nicht, denn im Darm tummeln sich Unmengen von Bakterien. Der ist für sie ein wahres Schlaraffenland: schön warm, schön feucht und viel zu futtern. Dabei gedeihen sie so prächtig, dass jeder von uns rund ein Pfund davon mit sich herumschleppt. Die Trockenmasse unseres Stuhlgangs besteht zu über der Hälfte aus Bakterien.

Dabei sind sie so klein, dass die Anzahl der Zellen im Darm die eines einzelnen Menschen weit übertrifft. Wie viele Arten im Verdauungstrakt leben, ist immer noch Gegenstand der Spekulation; einige vermuten weit über 10.000. So ist es nicht verwunderlich, dass unser Immunsystem im Darm mehr zu tun hat als auf der gesamten Hautoberfläche. Wie schnell ein paar Bakterien dort schon für Ärger sorgen, wissen Sie selbst. Rechnen Sie das mal hoch auf ein Pfund neben dem Darmepithel …

Mensch und Mikrobe – eine Zweckgemeinschaft

Durch Bazillen und Krankheitserreger haben Bakterien einen schlechten Ruf. Dabei sind die meisten nicht nur völlig harmlos, sondern sogar ausgesprochen nützlich. Mit vielen schwerverdaulichen Nahrungsmitteln können wir erst etwas anfangen, nachdem Bakterien sie vorverdaut haben. Von Bakterien beziehen wir den größten Teil einiger lebenswichtiger Vitamine wie Thiamin, Vitamin K oder Vitamin B12. Zudem machen sie viele giftige Substanzen unschädlich, die dadurch keinen Schaden mehr anrichten können.

Wohl der wichtigste Punkt dieser friedlichen Koexistenz ist die Tatsache, dass durch die hohe Besiedlung mit harmlosen Keimen Krankheitserreger normalerweise keine Chance haben.

Bakterien als Sparringpartner des Immunsystems

Wenn sich doch mal krankmachende Keime im Darm ausbreiten, sitzt das Immunsystem des Darms an vorderster Front und sorgt dafür, dass die Bösewichte schnell und effektiv beseitigt werden. Notfalls wird die Spülung betätigt: Mithilfe von Durchfällen entledigt sich der Darm unerwünschter Gäste. Hauptsache, die Krankmacher gelangen nicht ins Gewebe oder gar ins Blut, wo sie wesentlich mehr Schaden anrichten könnten als im Inneren des Verdauungstraktes.

So hält die normale Darmflora das Immunsystem auf Trab. Wenn dieser Stimulus fehlt und sich die Abwehr langweilt, sucht sie nach Beschäftigungsmöglichkeiten und geht auf körpereigene Substanzen los. Autoimmunerkrankungen werden immer häufiger, auch im Magen-Darm-Trakt. Man denke etwa an Glutenunverträglichkeit oder Laktoseintoleranz. Oder Entzündungen. Womit wir wieder bei den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wären.

Morbus Crohn und die Darmbakterien: Ein empfindliches Gleichgewicht

Mensch und Bakterien stehen in einem empfindlichen Gleichgewicht. Falsche Ernährung, Antibiotika, Stress und Infektionen bringen Mikrobiom und/oder Immunsystem aus dem Takt.

Die Ursachen von Morbus Crohn sind noch nicht vollkommen geklärt. Man weiß aber, dass bei dieser Erkrankung Bakterien und Immunsystem nicht miteinander klarkommen, weil das beschriebene Gleichgewicht gestört ist. Die Folge sind Entzündungserscheinungen, die das Darmepithel an der Grenze zwischen den beiden Kontrahenten am stärksten in Mitleidenschaft ziehen.

Oft erhalten die Patienten Immunsuppressiva, die das Immunsystem beschwichtigen sollen. Wirklich besser machen diese die Sache nicht, denn dadurch reagieren sie noch wesentlich empfindlicher auf Infektionen.

Mausmodelle helfen bei der Erforschung der gestörten Darmflora

Schon länger ist bekannt, dass bei Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn die Anzahl der Bakterienarten im Darm reduziert ist. Das führt zu Entzündungen durch überschießende Reaktionen des Immunsystems.

Dr. Til Strowig und seine Nachwuchsgruppe „Mikrobielle Immunregulation“ vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben herausgefunden, welche Moleküle für die Darmentzündungen verantwortlich sind. Hierfür verwendeten sie mehrere transgene Mausmodelle.

Bei dem einen ist das Gen NLRP6 (NACHT, LRR and PYD-domains containing protein) ausgeschaltet. Damit fehlt ihnen ein Protein, das hauptverantwortlich für die Bildung von Inflammasom-Komplexen ist. Dabei handelt es sich um spezielle Proteinkomplexe, die in Immunzellen (Makrophagen und neutrophilen Granulozyten) nach Bakterienkontakt entstehen. Das führt zur Aktivierung von Caspase-1, die Interleukin-1β aktiviert und damit eine Entzündungsreaktion auslöst.

In einem anderen Stamm war genau diese Caspase-1 ausgeschaltet.

Ein weiterer Mäusestamm verfügt nicht über RAG2 (Recombination activating gene 2). RAG2 ist für die Antikörpervielfalt zuständig, indem es die Gensequenzen der Immunglobuline in unzähligen Möglichkeiten kombiniert. Durch das Fehlen dieses V(D)J-Rearrangements können die Tiere keine reifen T-Zellen und B-Zellen bilden. Damit ist RAG2 wesentlicher Bestandteils des adaptiven (sich an die Umwelt anpassenden) Immunsystems.

Das Ergebnis der Untersuchungen

Die Wissenschaftler konnten durch den Austausch der Mikrobiome nachweisen, dass verschiedene Darmfloren eine Darmentzündung abhängig oder unabhängig von diesem adaptiven Immunsystem auslösen. Das beweist, dass die Zusammensetzung der Bakterienpopulation wesentlich zum Entstehen der Entzündungsreaktionen beiträgt.

Zudem konnten sie zeigen, dass die Entzündung im Wesentlichen von der Aktivität der Caspase-1 abhängt. Ist dieses Schlüsselenzym ausgeschaltet, führt ein Mikrobiom, das sonst schwere Entzündungen nach sich zieht, zu wesentlich milderen Verläufen der Colitis. Umgekehrt beeinflussen die Darmbewohner die Aktivität dieses Enzyms und damit die Schwere der Immunreaktion.

Fazit – Was bringt die Zukunft?

Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler um Dr. Strowig 2017 mit drei Publikationen in der renommierten Fachzeitschrift Cell Reports veröffentlicht. Darin empfehlen sie als Fazit, zukünftig bei der Therapie des Morbus Crohn mit Immunsystem-beeinflussenden Substanzen das persönliche Mikrobiom eines Patienten zu berücksichtigen. Vorrangiges Ziel weiterer Untersuchungen wird die Suche nach Möglichkeiten zur Steuerung oder Blockierung der fehlgeleiteten Immunantwort sein.

Quellen und Literatur

  1. Gálvez EJC, Iljazovic A, Gronow A, Flavell R, Strowig T.:
    Shaping of Intestinal Microbiota in Nlrp6- and Rag2-Deficient Mice Depends on Community Structure.
    Cell Rep. 2017 Dec 26;21(13):3914-3926. doi: 10.1016/j.celrep.2017.12.027.
  2. Roy U, Gálvez EJC, Iljazovic A, Lesker TR, Błażejewski AJ, Pils MC, Heise U, Huber S, Flavell RA, Strowig T.:
    Distinct Microbial Communities Trigger Colitis Development upon Intestinal Barrier Damage via Innate or Adaptive Immune Cells.
    Cell Rep. 2017 Oct 24;21(4):994-1008. doi: 10.1016/j.celrep.2017.09.097.
  3. Błażejewski AJ, Thiemann S, Schenk A, Pils MC, Gálvez EJC, Roy U, Heise U, de Zoete MR, Flavell RA, Strowig T.:
    Microbiota Normalization Reveals that Canonical Caspase-1 Activation Exacerbates Chemically Induced Intestinal Inflammation.
    Cell Rep. 2017 Jun 13;19(11):2319-2330. doi: 10.1016/j.celrep.2017.05.058.